Unser Körper macht keinen Unterschied zwischen physischen und psychischen Schmerzen. Beides schadet kleinen und großen Menschen gleichermaßen. Nicht immer ist es offen sichtbar, wenn unsere Seele leidet. Manche Kinder leiden still und mitunter auch schon lange, ohne dass es sofort jemand merkt. Es ist deshalb wichtig, als LehrerIn nicht alleine die Kinder im Blick zu haben, die „auffällig“ sind und die sich im Unterricht besonders herausfordernd verhalten, sondern auch die, die eher zurückhaltend und die besonders schüchtern sind. Besonders Angststörungen wie z.B. die „Sozialphobie“, d.h. die Angst mit anderen Menschen in Kontakt zu gehen, oder auch Ängste, nicht gut genug zu sein, können sich in angepasstem und leisem oder aber auch in besonders leistungsbereitem Verhalten zeigen. Auch Mobbing kann ein Grund dafür sein, dass es unserer Seele nicht mehr gut geht. Hinzu können auch belastende familiäre Hintergründe kommen. Sind Eltern selbst psychisch krank oder suchtkrank oder vielleicht auch beides, übernehmen Kinder häufig zu viel Verantwortung und erkranken nicht selten selbst.
Tabea ist elf Jahre alt und in der 6. Klasse einer Realschule. Meistens geht sie gerne in die Schule, aber manchmal auch gar nicht. An ihren guten Tagen, den „Sonnentagen“ ist sie aufmerksam bei der Sache, beteiligt sich am Unterricht und ist fröhlich. Leider sind diese Tage selten. Es gibt viel mehr schlechte „Regentage“ in Tabeas Leben. Das sind die Tage, an denen sie es nicht geschafft hat, zu frühstücken, weil sie sich morgens schon um ihre beiden jüngeren Geschwister gekümmert hat, die in die Kita müssen. Papa ist morgens meistens schon ganz früh auf der Arbeit, und Mama muss im Bett liegen bleiben, weil sie krank ist. Mama hat Depressionen, da ist es ganz schwer aufzustehen.
Tabea versteht das, und sie ist auch irgendwie stolz, weil sie schon so vieles alleine kann wie z.B. nach der Schule kochen, mit den Kleinen spielen und ihnen vorlesen. Sie kann auch schon die Waschmaschine bedienen. Das ist wirklich nicht schwer. Schwer ist eigentlich nur, dass Papa oft genervt ist, wenn er nach Hause kommt und rumschreit, weil das Essen noch nicht fertig ist. Das macht Tabea sehr traurig, vor allem, weil Mama dann anfängt zu weinen. Sie ist abends oft so müde, dass sie die Hausaufgaben nur lustlos macht, und dann gibt es Ärger in der Schule.
Einmal hat ihre Klassenlehrerin Tabea schon angesprochen und gefragt, ob sie Probleme hat. Das war gut, aber Tabea schämt sich, von zu Hause zu erzählen, wo es so chaotisch und unaufgeräumt ist. Sie will nicht anders sein als die anderen Kinder in ihrer Klasse, die alle so gar keine Probleme zu haben scheinen. Deshalb hat sie nichts gesagt. Vielleicht haben aber Ole, Martin und Julia aus ihrer Klasse doch Probleme und es redet nur keiner drüber…?
Tabea geht es auf jeden Fall nicht gut. Sie fühlt sich so oft überfordert und muss doch viel auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen. Sie fragt sich, ob das normal ist und ob es nicht Hilfe gibt für Papa und vor allem Mama…?